Abendschule - Vergleichendes Sehen. Heute (III)

 

 

10. Dezember 09

 

 

Abendschule
Vergleichendes Sehen. Heute
Di + Do, 19 – 20.30 Uhr

Vergleichend zu sehen bedeutet dialogisch wahrzunehmen, sinnlich zu erfassen und visuell zu denken. Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte der schweizer Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin das Vergleichende Sehen als kunsthistorische Praxis. Erstmals wurden Abbilder von Kunstwerken in einem dunklen Raum von zwei Diaprojektoren nebeneinander an die Wand geworfen. Die seinerzeit revolutionäre Herangehensweise ist, trotz PowerPoint, bis heute gängige Methode in der Kunstgeschichte. Die Abendschule holt nun diese wissenschaftliche Praktik in den Ausstellungskontext, befreit sie vom doktrinären Gebrauch und stellt die Vorgehensweise in Frage. Sie fordert zu unerwarteten Versuchsanordnungen auf und gibt Raum für die Methodik stützende oder stürzende Vergleiche.

III.
Jörg Trempler: Wie im Katastrophenfilm? Die Fernsehbilder von 9/11
Peter Geimer: Das Unvergleichbare
10.12.2009, 19 Uhr

Jörg Trempler: Wie im Katastrophenfilm? Die Fernsehbilder von 9/11
Nachdem die Fernsehbilder vom 11. September 2001 weltweit live ausgestrahlt waren, wurde immer wieder der Vergleich zwischen diesen Nachrichtenbildern und ähnlichen Darstellungen aus dem Bereich des Katastrophenfilms gezogen. Dies hatte aber auch den Beigeschmack von Grenzüberschreitung. Werden hier nicht Äpfel und Birnen verglichen? Gehört nicht zur Vergleichbarkeit auch die Gleichrangigkeit? Hat die Ähnlichkeit hier eine Grenze? Diese Fragen werden im Vortrag aufgeworfen und unter dem Aspekt des vergleichenden Sehens heute kritisch geprüft.

Jörg Trempler beschäftigt sich seit der Promotion 1998 über Karl Friedrich Schinkel mit bildtheoretischen Fragen, welche die Unterscheidung von Nachrichten- oder Informationsbild und Kunst betreffen. Ergebnis dieser Arbeit sind Aufsätze über Filme, Terrorbilder oder Darstellungen atomarer Strukturen. Seit 2008 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter der DFG Kolleg-Forschergruppe „Bildakt und Verkörperung“. 2009 hat er seine Thesen zu Katastrophenbildern als Habilitationsschrift eingereicht.

Peter Geimer: Das Unvergleichbare
Die Funktion des vergleichenden Sehens ist unbestreitbar, vielleicht sogar unhintergehbar: Niemand kann ein Bild anschauen, ohne dass augenblicklich andere Bilder mit gesehen oder erinnert werden. Insofern gibt es kein Bild, das ausschließlich „es selbst“ wäre. Entschiedene Gegner des vergleichenden Sehens sind deshalb bisher auch nicht in Erscheinung getreten. Trotzdem lässt sich danach fragen, aus welchen Gründen der Vergleich unternommen wird, ob er Differenzen (Wölfflin) oder Ähnlichkeiten (Warburg, Malraux) zeigen will, welche Erkenntnis er leistet und wo die Routine des Bildvergleichs möglicherweise Gefahr läuft, Heterogenes zu verwischen und das Spezifische eines Bildes durch seinen Vergleich mit längst Vertrautem gerade zu übersehen. Der Vortrag diskutiert diese Fragen am Beispiel zeitgenössischer Pressefotografien und ihrer ikonographischen Einverleibung in das Bildreservoir der Kunstgeschichte. Wo ist die Schwelle, an der vergleichendes Sehen in Gleichheit aus Versehen umschlägt?

Peter Geimer ist Kunsthistoriker und unterrichtet an der ETH Zürich. Zu seinen Buchveröffentlichungen zählen Theorien der Fotografie (Hamburg: Junius 2009, Hg.), Ordnungen der Sichtbarkeit. Fotografie in Wissenschaft, Kunst und Technologie (Frankfurt/Main: Suhrkamp 2002), Die Vergangenheit der Kunst. Strategien der Nachträglichkeit im 18. Jahrhundert (Weimar: VDG 2002). Im Januar 2010 erscheint Bilder aus Versehen. Eine Geschichte fotografischer Erscheinungen.

Im Rahmen der Ausstellung FOR THE USE OF THOSE WHO SEE

Mit freundlicher Unterstützung der Schering Stiftung und des Hauptstadtkulturfonds, Berlin.

Herzlichen Dank an den Lette-Verein für die Bestuhlung.