Abendschule - Vergleichendes Sehen. Heute (V)

 

 

17. Dezember 09

 

 

Abendschule
Vergleichendes Sehen. Heute
Di + Do, 19 – 20.30 Uhr

Vergleichend zu sehen bedeutet dialogisch wahrzunehmen, sinnlich zu erfassen und visuell zu denken. Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte der schweizer Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin das Vergleichende Sehen als kunsthistorische Praxis. Erstmals wurden Abbilder von Kunstwerken in einem dunklen Raum von zwei Diaprojektoren nebeneinander an die Wand geworfen. Die seinerzeit revolutionäre Herangehensweise ist, trotz PowerPoint, bis heute gängige Methode in der Kunstgeschichte. Die Abendschule holt nun diese wissenschaftliche Praktik in den Ausstellungskontext, befreit sie vom doktrinären Gebrauch und stellt die Vorgehensweise in Frage. Sie fordert zu unerwarteten Versuchsanordnungen auf und gibt Raum für die Methodik stützende oder stürzende Vergleiche.

V.
Felix Thürlemann: Picasso photographiert die Klänge einer Kartongitarre
Ursula Frohne: Anamorphosen des Kinos
17.12.2009, 19 Uhr

Felix Thürlemann: Picasso photographiert die Klänge einer Kartongitarre
Picasso hatte, wie Brassaï berichtet, die Gewohnheit, in seinem Atelier für Besucher private Ausstellungen seiner Werke zusammenzustellen. Mehrere dieser Ausstellungen sind zuerst von Picasso selbst, später von Brassaï und Henri Cartier-Bresson photographisch dokumentiert worden. Im Zentrum des Vortrags stehen drei untereinander eng verwandte Photographien Picassos von Dezember 1912, einer für die Entwicklung des synthetischen Kubismus entscheidenden Zeit. Sie zeigen, wie der Künstler jeweils eine größere Anzahl der heute berühmten „papiers collés“ um ein einziges Werk herum arrangiert hat: die aus Karton geschaffene Gitarre (heute Museum of Modern Art, New York). Der Beitrag versucht, die drei photographierten „hyperimages“ von 1912 als Selbstkommentare des Künstlers zu seinem Werk auf ihre Bedeutung hin zu befragen.

Felix Thürlemann ist seit 1987 Professor für Kunstwissenschaft und Kunstgeschichte an der Universität Konstanz. Er war Foreign Scholar in Residence am Institute of Fine Arts in New York, Mitglied des Schweizerischen Instituts in Rom und habilitierte sich an der Universität Zürich. Sein aktuelles Forschungsprojekt thematisiert die Theorie und Geschichte des „hyperimage“. Zu seinen Aufsatz-Publikationen zu diesem Thema zählen unter anderem Bild gegen Bild: für eine Theorie des vergleichenden Sehens (Tübingen, 2005), Vom Einzelbild zum ‚hyperimage’: eine neue Herausforderung für die kunstgeschichtliche Hermeneutik (Löwen / Paris, 2004), Vom Sinn der Ordnung: Die Bildersammlung des Frankfurter Konditormeisters Johann Valentin Prehn (1749-1821) (Tübingen, 1998).

Ursula Frohne: Anamorphosen des Kinos
Was kann ein Bild mit einem anderen gemeinsam haben? Wo ist die Schnittstelle ihrer Vergleichbarkeit zu verorten? Welche Verbindung könnte zwischen den Bildfolgen einer Videoprojektion von Douglas Gordon und einem Gemälde aus dem 16. Jahrhundert bestehen? In Parallelbetrachtung der Gesandten (1533) von Hans Holbein d. J. und Douglas Gordons 24 Hour Psycho (1993) richtet der Vortrag eine abweichende Blickperspektive auf das Konzept der gekidnappten Filmikone. Die anamorphotische Durchtrennung der Bildlogik in Holbeins Gemälde dient hierbei als Reflexionsfigur für eine Deutung der verfremdenden zeitlichen Dehnung des Hitchcock-Films durch Gordons Aneignung. Im vergleichenden Sehen, das den frontalen Blick auf das Einzelwerk zugunsten einer pendelnden, diskursiven Sichtweise verlagert, zeigt sich, welches gemeinsame Erkenntnisinteresse diese historisch so weit entfernten Positionen verbindet: Die Darstellung einer Latenz des Bildlichen.

Ursula Frohne war von 1995 bis 2001 als Kuratorin am Museum für Neue Kunst | ZKM und als Lehrbeauftragte an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung, Karlsruhe tätig. 2001 hatte sie eine Gastprofessur an der Brown University Providence in Rhode Island, USA inne und lehrte anschließend von 2002 bis 2006 am Lehrstuhl für Art History an der International University Bremen. Seit 2006 ist sie Professorin für Kunstgeschichte an der Universität zu Köln am Lehrstuhl für Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts. 2007 übernahm sie die Leitung des DFG-Projektes „Reflexionsräume kinematographischer Ästhetik“.

Im Rahmen der Ausstellung For the Use Of Those Who See

Mit freundlicher Unterstützung der Schering Stiftung und des Hauptstadtkulturfonds, Berlin.

Herzlichen Dank an den Lette-Verein für die Bestuhlung.