ars viva 05/06 – Identität

 

 

25. Juni – 20. August 06

 

 

Eröffnung: 24.06.2006, 17 - 21 Uhr

Ausstellung der FörderpreisträgerInnen des Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im BDI e.V.

Jason Dodge, Takehito Koganezawa, Michaela Meise, Robin Rhode

2005 wurde der Förderpreis des Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im BDI e.V. ars viva 05/06 zum Thema Identität an Jason Dodge, Takehito Koganezawa, Michaela Meise und Robin Rhode vergeben. Nach Ausstellungen in Rostock und Antwerpen zeigen jetzt die KW Institute for Contemporary Art in Berlin Arbeiten der vier KünstlerInnen, die teilweise für diesen Ort neu entwickelt wurden.

Da alle PreisträgerInnen in den letzten Jahren ihren Lebens- und Arbeitsmittelpunkt nach Berlin verlegt haben, richtet die Ausstellung in den KW ihre Aufmerksamkeit auf die Frage, welchen Einfluss Berlin mit seinem künstlerischen und sozialen Kontext auf den kreativen Prozess hat. In welchem Mischverhältnis werden persönliche Erfahrungen mit Vorgefundenem zusammengebracht und welchen Einfluss hat die spezifische historische Situation der Stadt auf die eigene künstlerische Arbeit? Die Ausstellung stellt Arbeiten in den Mittelpunkt, die Fragen nach der eigenen kulturellen und gesellschaftlichen Prägung und nach der eigenen Verortung zwischen dem Hier und dem Anderswo umkreisen.

Jason Dodge (geb. 1969 in Newtown, USA)
Jason Dodge verweist in seinen Installationen meist auf andere, weit entfernte Orte, Menschen oder Ereignisse. Oft sind es nur wenige Hinweise – wie etwa ein Titel oder einige in der Ausstellung lose verteilte Materialien, durch die der Betrachter ein Bild von jenen entfernten Orten oder Menschen entwickeln kann.

Im Zentrum von Jason Dodges Arbeit für die KW steht ein Käfig mit fünf Brieftauben. Die Tauben haben ursprünglich dem vor wenigen Jahren verstorbenen Züchter Joh de Vries gehört und waren darauf trainiert aus Entfernungen von bis zu 2000 km zurück zum Haus des Züchters in Merkelbeek zu fliegen. Nach dem Tod von Joh de Vries wurden Haus und Taubenstall verkauft, die Tauben übernahm ein Freund. Da Brieftauben in ihrem Leben nur einmal auf eine Adresse trainiert werden können, würden sie noch heute, wenn man sie frei ließe, intuitiv nach Merkelbeek zurückkehren, exakt zu dem Ort, an dem sich ihr Zuhause befand.

Der Schwerpunkt von Dodges Arbeiten liegt immer auf dem Abwesenden: Ein kleines Walllabel weist darauf hin, dass sich von Zeit zu Zeit eine Frau unter die BesucherInnen der Ausstellung mischt, die an Expeditionen zum Süd- und Nordpol teilgenommen hat. Da sie dabei immer unerkannt bleibt, kann sich der Ausstellungsbesucher jederzeit in Gesellschaft dieser Frau befinden ohne es zu wissen. Durch solche kleinen Hinweise stellen die BesucherInnen Bezüge zu jenen weit entfernten Orten her, die dann gleichermaßen Präsenz in der Ausstellung erhalten wie die spärlich verteilten Objekte.

Takehito Koganezawa (geb. 1974 in Tokio)
In Takehito Koganezawas Zeichnungen verbinden sich Alltagsgegenstände und -Beobachtungen mit abstrakten und manchmal absurden Zeichen. Wie aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gerissen, schweben sie einzeln und fast schwerelos vor dem weißen Hintergrund. Statt aber Geschichten zu erzählen, lassen die Zeichnungen die BetrachterInnen mit den oft unverständlichen Eindrücken alleine. Genau wie in den Zeichnungen ist das Nicht-Erzählerische und die Alltäglichkeit der Wahrnehmung auch Qualität von Koganezawas Videoarbeiten: Für Koganezawa, der nach seiner Ankunft in Berlin gelernt hat, was es bedeutet ohne die eigene Sprache zu leben, sprechen die Dinge und Töne, denen er in den Videos seine Aufmerksamkeit schenkt, für sich: In „Dancing in Your Head" wirken unterschiedliche Geräusche (das Schneiden einer Zitrone, das Öffnen einer Flasche) einem Zufallsprinzip folgend zusammen und es entstehen manchmal wohlklingende und manchmal rauschende Klanggewebe.

Wenn Koganezawa versucht, Eindrücke oder Bewegungen aus der alltäglichen Wahrnehmung herauszugreifen und er sie dann mit abstrakten Zeichen mischt und kontrastiert, vermeidet er es immer, eine bestimmte Bedeutung zu erzeugen. Er versucht vielmehr, den schwer fassbaren und schwebenden Zustand des „Dazwischens" einzufangen – einem Dazwischen von Anwesendem und weit Entferntem, Fiktion und Realität, Wachen und Traum, erzählten Geschichten und abstrakten Zeichen.

Michaela Meise (geb. 1976 in Hanau)
Auf den ersten Blick wirken Michaela Meises Skulpturen und Wandarbeiten oft eigentümlich und lassen den Betrachter ratlos zurück. Auch in der Ausstellung in den KW stoßen die BesucherInnen zunächst auf riesige und dennoch fragile Skulpturen, die mit ihren wackeligen Beinen etwas Menschliches an sich haben und trotzdem uneindeutig bleiben. Tatsächlich geht es Michaela Meise in erster Linie darum, mit ihren collageartigen Raumstrukturen eine bestimmte, geschlossene Stimmung zu erzeugen, die im Raum zwischen den Skulpturen entsteht. Was aber auf den ersten Blick referenzlos wirkt, erweist sich bei näherem Hinsehen als komplexes System aus Verweisen sowohl auf die eigene gesellschaftliche und kulturelle Prägung als auch auf die Geschichte, die von Dingen und Orten transportiert wird.

So knüpft eine der Wandarbeiten an das Leben der weitestgehend unbekannten Künstlerin Kate Diehn-Bitt an, deren Geschichte eng mit Berlin verknüpft ist: Die Arbeit reiht kopierte Seiten aus dem Ausstellungskatalog von 1948 aneinander, der einzige, der zu Lebzeiten der Künstlerin erschienen ist. Die betont anarchische und primitive Bildsprache der Künstlerin Kate Diehn-Bitt hat dazu geführt, dass ihre Arbeiten sowohl von den Nazis als auch später vom DDR-Regime ausgeschlossen und erst in den 80er Jahren in Ost-Berliner Galerien gezeigt wurden. In „Mosaik" (2005) kombiniert Michaela Meise die typische Denkmal-Ästhetik mit einem kleinen Bild, das ihren Bruder im grünen Parka auf der Nachbildung einer Sphinx zeigt – Verweise auf deutsche Erinnerungskultur fließen hier mit der Suche nach den Einflüssen auf Meises eigene kulturelle Sozialisierung zusammen.

Robin Rhode (geb. 1976 in Kapstadt/Südafrika)
Robin Rhodes Video- und Fotoarbeiten sind Interventionen, die häufig an Plätzen und Straßen der Vorstädte wie denen seiner Heimatstadt Johannesburg stattfinden. Er zeichnet Motive an die Wand, mit denen er selbst interagiert und entwickelt so kleine Geschichten, in denen die Welt der Zeichen mit der realen Welt verschmilzt. Häufig geht es in seinen Zeichnungen um das Begehren und die Erfüllung im Imaginären – so zeichnet er für die Kinder in seiner Nachbarschaft die Spielzeuggeräte, von denen sie immer geträumt haben und die dann in seinen Filmen zum Leben erweckt werden.

Robin Rhode ist davon überzeugt, dass die Kunst eine bildende und soziale Funktion hat – seine Arbeiten sind humorvolle und gleichzeitig scharfe Kommentare zu gesellschaftspolitischen Themen.
In der Arbeit „Canon" (2006), die er für die KW neu entwickelt hat, reagiert er auf den unterschwellig brodelnden Konflikt, der in den Vorstädten von Paris seinen Weg an die Oberfläche gefunden hat, in Bezirken wie etwa Berlin Mitte aber nicht sichtbar wird. Auf der Ebene der Wandzeichnung versucht er, dieser Aggression, die schnell der Ohnmacht weicht, Ausdruck zu verleihen. Wie ein kleiner Junge erfindet er seine Waffen, mit denen er gegen den unsichtbaren, aber übermächtigen Feind zu Felde zieht – die Waffe wird dabei immer wieder zu einem abstrakten Zeichen.

Kuratorin: Katharina Fichtner

Begleitend wurde eine Publikation herausgegeben:

ars viva 05/06 – Identität/Identity
Revolver Verlag, Frankfurt
Hrsg. vom Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im BDI e.V.; mit Textbeiträgen von Elke Buhr, Anselm Franke, Anette Freudenberger, Jens Hoffmann und Catrin Lorch (Deutsch/Englisch).
28 x 21 cm, 114 S., 60 Farbabb., Broschur
ISBN 3-86588-204-8

Die Ausstellung ist ein Projekt der KW Institute for Contemporary Art und des Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im BDI e.V.