Cyprien Gaillard
The Recovery Of Discovery

 

 

27. März – 22. Mai 11

 

 

Eröffnung: Samstag, 26. März, 17 – 2 h

Artforum wählte die Ausstellung unter die "Best of 2011".

„Nun zur Hauptsache! Wie kommt alles nach Berlin?"

Carl Humann, September 1878

Die Erhaltung eines Monuments scheint auch immer seine Zerstörung zu beinhalten. Um städtische Architekturen, Kulturdenkmäler und Reliquien zu bewahren, werden sie häufig an andere Orte überführt, wodurch der ursprüngliche Kontext aufgehoben wird. Der Transfer ändert nicht nur die Geschichte des Ursprungsortes, sondern führt auch zu einer brachialen Umdeutung des vor der Zerstörung Bewahrten.

So reicht die Rezeptionsgeschichte des Pergamonaltars von einer monarchistischen über eine monarchisch-kolonialistische, faschistische und kommunistische bis hin zu einer nationalen Aneignung. Die Spannbreite der Aneignungen spiegelt die jeweilige Haltung gegenüber der Archäologie und der Idee von Entdeckung in den unterschiedlichen geschichtlichen Kontexten und politischen Systemen wider.

Eine Entdeckung scheint also immer mit ihrer Patronisierung einherzugehen, von der sich das Entdeckte nicht zu erholen vermag. Das Abtragen einzelner architektonischer Elemente von Kulturdenkmälern erstreckt sich oft über mehrere Jahrhunderte hinweg und kann zu einer Verstreuung der Fragmente über die ganze Welt führen. So lassen sich die Ruinen der Tempelanlagen von Ephesos heute im Britischen Museum in London, im Kunsthistorischen Museum in Wien sowie in den Archäologischen Museen von Selçuk, Izmir, Istanbul und Efes (griechisch Ephesos) selbst finden.

Architektonischer Verfall, Zerstörung, Abriss, Bewahren, Erhalt und Rekonstruktion – Cyprien Gaillard untersucht in seinen Arbeiten immer wieder die absurden Aspekte dystopischer Architekturen und verbleibender Ruinen. Ausgangspunkt für seine Arbeiten ist dabei stets der Prozess. Für seine Ausstellung in den KW Institute for Contemporary Art in Berlin schafft Gaillard eine neue, raumgreifende Skulptur, die sich – ausgehend von einer Urform des Monuments – im Prozess vervollständigt. In Anlehnung an die Versetzung des Pergamonaltars wurden 72.000 Flaschen Bier der Marke „Efes" aus der Türkei nach Deutschland transportiert. Die mit Bierflaschen gefüllten Kartons bilden die gleichmäßigen Stufen einer Pyramide.

Durch die Nutzung – das Erklimmen der Skulptur wie das Trinken des Bieres – wird zugleich die Zerstörung des Monuments eingeleitet. Das barbarische Abtragen einzelner architektonischer Elemente, welche zuvor von ihrem Entstehungsort nach Berlin überführt wurden, verkörpert sowohl das Prinzip des Displacements als auch den touristischen Kolonialismus. Wenngleich der Herstellungsort alkoholischer Getränke stets eine zentrale Rolle einnimmt, scheint die Herkunft bei zunehmendem Konsum immer belangloser zu werden. Analog zur graduellen Zerstörung der Skulptur zerstreut und zersetzt der Alkohol allmählich Geist und Körper. Der physische „Hangover" ist zugleich ein architektonischer, von dem es sich zu erholen gilt.

Gleich einer öffentlichen Amnesie in der aktiven Missachtung der skulpturalen Form, verloren in der ausweglosen Interaktion mit dem Monument, wird die sukzessive Zerstörung zu einer Ästhetik des Widerstands.

Die Ausstellung ist kuratiert von Susanne Pfeffer.

Mit freundlicher Unterstützung des Hauptstadtkulturfonds, Berlin.