morale provisoire Gespräch #1: Rado Riha: Die Idee als Denken der Politik

 

 

2. März 10

 

 

morale provisoire Gespräch #1
Rado Riha: Die Idee als Denken der Politik
02. März 2010, 19 Uhr

Rado Riha ist Philosoph am Institut für Philosophie des Wissenschaftlichen Forschungszentrums der Slowenischen Akademie für Wissenschaften und Künste in Ljubljana sowie Professor für Philosophie an der Universität Nova Gorica (Post-Graduate-Programm Interkulturelle Studien). Er studierte an der Universität in Ljubljana und war in den 1980er Jahren Mitglied der sogenannten „Ljubljana school of psychoanalysis“. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen Ethik, Epistemologie, gegenwärtige französische Philosophie, die Psychoanalyse Jacques Lacans und die Philosophie Immanuel Kants. Von 1996 bis 2003 war er Herausgeber der Zeitschrift Filozofski Vestnik, seit 1993 ist er Mitglied des Beirats. Auf deutsch verfügbare Publikationen sind Reale Geschehnisse der Freiheit (1993) sowie Politik der Wahrheit (1997, gemeinsam mit Alain Badiou, Jacques Rancière und Jelica Šumič). Rado Riha arbeitet aktuell an einem Buch zu Badiou und Kant.
Es folgen weitere Gespräche mit: Lorenzo Chiesa, Peter Hallward, Alberto Toscano, Nina Power, u.a.

Die Veranstaltung findet in deutscher Sprache statt.
Eintritt frei.

morale provisoire Gesprächsreihe
Descartes gibt das Beispiel der Reisenden, die in einem Wald die Orientierung verloren haben. Wollen sie nicht an der gleichen Stelle verharren oder aber orientierungslos umherirren, benötigen sie eine "morale par provision", die ihre Schritte anleitet. Eine "morale provisoire" versucht entschlossen eine Richtung zu verfolgen, sie befragt das Denken auf orientierende Regeln für die Praxis. Sich im Denken zu orientieren, heißt mit Kant, sich nach dem subjektiven Prinzip der Vernunft zu orientieren. Dies bedeutet dann, wie Rousseau, zunächst das beiseite zu lassen, was als Tatsache gilt: das Bestehende, seien es Körper oder Sprachen, Individuen oder Gemeinschaften, das die Maximen der Zeit heute preisen. Ihnen setzt Badiou die Idee einer subjektiven Orientierung des Subjekts entgegen, die von einem Punkt der Unmöglichkeit aus ihren Weg nimmt. Die Reihe morale provisoire richtet sich gegen Libertäre, Liberale, Sophisten und Sozialchauvinisten unserer Zeit und versucht, orientierende Interventionen für die Praxis und das Denken zu versammeln. Sie zielt auf einen neuen Mut des Denkens, der dem Unmöglichen, dem Unendlichen, dem Gleichen und dem Illegitimen sein Recht zuspricht. Morale provisoire ist an einem Jakobinismus des Denkens orientiert, der auf seinem Weg aus der Desorientierung seine Feinde je neu bestimmt.

In der morale provisoire Gesprächsreihe werden in unregelmäßigen Abständen militante Denker eingeladen, deren Arbeiten in einem Bezug zu den Fragen der morale provisoire gelesen werden können. Mit den Gesprächspartnerinnen und –partnern soll erläutert werden, inwiefern und ob eine "morale provisoire" heutzutage als Konzept des Denkens – und darüber des alltäglichen Handelns – möglich und nötig ist oder aber nicht. Wie sind in einer Zeit, die sich als Zeit der allgemeinen Desorientierung begreifen lässt, subjektive Orientierungen möglich? Inwiefern lässt sie sich als Zeit der Desorientierung verstehen? Welche Mittel der Analyse stehen uns zu Verfügung? Inwiefern müssen subjektive Orientierungen von Unmöglichkeit der Situationen ausgehen? Wie sind solche Punkte zu beschreiben, was sind ihre Bedingungen und Voraussetzungen? Was wären Figuren, Punkte, Mittel und Methoden einer solchen "morale provisoire" und wo und wie erkennt sie ihre Feinde? Wie orientiert man sich weniger an Beschreibungen der Desorientierung denn an Analysen unmöglicher Ausgangspunkte neuer Wege und Formen? Die eingeladenen Gäste sind nicht Philosophen allein, sondern Freunde, deren Arbeiten um eine oder mehrere Bedingungen der Philosophie zirkulieren – Kunst, Liebe, Politik, Wissenschaft.

Eine Veranstaltung der KW Institute for Contemporary Art in Zusammenarbeit mit dem Merve Verlag und den Herausgebern der Reihe morale provisoire, Frank Ruda und Jan Völker.
Die Gesprächsreihe morale provisoire in den KW Institute for Contemporary Art in Berlin erweitert eine gleichnamige Buchreihe im Merve Verlag, die von Frank Ruda und Jan Völker herausgegeben wird. In Zusammenarbeit mit dem Verlag und den Herausgebern verpflichtet sie sich in regelmäßigen Abständen der zeitgenössischen Dringlichkeit Orientierungen in Fragen der Wissenschaft, Politik, Kunst und Liebe zu versammeln und ihre Einsätze auf dem Feld der Philosophie zu bestimmen.
Projektleitung KW Institute for Contemporary Art: Anke Schleper