Abendschule - Vergleichendes Sehen. Heute (IV)

 

 

15. Dezember 09

 

 

Abendschule
Vergleichendes Sehen. Heute
Di + Do, 19 – 20.30 Uhr

Vergleichend zu sehen bedeutet dialogisch wahrzunehmen, sinnlich zu erfassen und visuell zu denken. Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte der schweizer Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin das Vergleichende Sehen als kunsthistorische Praxis. Erstmals wurden Abbilder von Kunstwerken in einem dunklen Raum von zwei Diaprojektoren nebeneinander an die Wand geworfen. Die seinerzeit revolutionäre Herangehensweise ist, trotz PowerPoint, bis heute gängige Methode in der Kunstgeschichte. Die Abendschule holt nun diese wissenschaftliche Praktik in den Ausstellungskontext, befreit sie vom doktrinären Gebrauch und stellt die Vorgehensweise in Frage. Sie fordert zu unerwarteten Versuchsanordnungen auf und gibt Raum für die Methodik stützende oder stürzende Vergleiche.

IV.
Michael Diers: Vergleiche hinken, oder: Die Lehre des Teufels
Sabeth Buchmann: Vergleichsweise abstrakt
15.12.2009, 19 Uhr

Michael Diers: Vergleiche hinken, oder: Die Lehre des Teufels
In Alltag, Kunst und Wissenschaft dient der Vergleich als eine ebenso grundlegende wie schöpferische Methode der Sondierung, Orientierung und Kontrastschärfung. Analogiesetzung und Differenzbestimmung, kurz „Vergleichung“, helfen entschieden, Weltverhältnisse auszuloten und gegebenenfalls auch zu bestimmen, was bis dato noch nicht auf den Begriff gebracht ist. Dabei stellt das „tertium comparationis“ den für jeden Vergleich notwendigen Anknüpfungs-, Dreh- oder Angelpunkt dar. Als „springender Punkt“ oder „link“ sorgt er dafür, dass ein Vergleich nicht nur heuristisch sinnvoll, sondern häufig zugleich außergewöhnlich und auffallend erscheint. Der Vortrag zeigt anhand von Beispielen aus Kunst und Wissenschaft die eminent produktiven und darüber hinaus auch kurzweiligen Seiten dieses komparatistischen Verfahrens auf.

Michael Diers lehrt als Professor für Kunst- und Bildgeschichte an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg und an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er ist Mitherausgeber der Studienausgabe der Gesammelten Schriften Aby Warburgs (Berlin 1998 ff.) sowie langjähriger Herausgeber der Taschenbuchreihe kunststück und der Reihe Fundus-Bücher. Er hat zahlreiche Aufsätze und Bücher veröffentlicht, darunter zuletzt Fotografie Film Video. Beiträge zu einer kritischen Theorie des Bildes (Hamburg: Philo & Philo Fine Arts  2006).  Seine Forschungsschwerpunkte sind die Kunst der Renaissance, der Moderne, des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart, Fotografie und neue Medien, politische Ikonographie, Kunst- und Medientheorie, Wissenschaftsgeschichte.

Sabeth Buchmann: Vergleichweise abstrakt
Emblematischer Revolutionskunst kommt seitens ihrer zeitgenössischen Rezeptionen oftmals eine allenfalls anekdotische Funktion der Wiedererkennung zu. Das scheint in verschärfter Form auf solche Werke zuzutreffen, die historische Analogien ungeachtet von Kontext-, Gattungs- und Medienspezifik provozieren: Etwa, wenn die soziale Skulptur des späten 20. Jahrunderts intendiertermaßen mit der Ikonografie der realistischen Malerei des frühen 19. Jahrhunderts in Beziehung gesetzt wird. Im Vortrag wird es um die Frage gehen, ob aus solchen Referenzen eine überwunden geglaubte Dialektik von Bruch und Aufhebung im Sinne einer Verschiebung der ästhetischen Grenze in einen politisch gedachten Raum spricht: Eine Dialektik also, die das vergleichende Sehen zu einer emanzipativen Aktivität erhebt.

Sabeth Buchmann ist Kunsthistorikerin und -kritikerin. Sie lehrt als Professorin für Kunst der Moderne und Nachmoderne an der Akademie der Bildenden Künste, Wien, und ist Vorstand des Instituts für Kunst- und Kulturwissenschaften. Buchmann schreibt regelmäßig für Kunstzeitschriften, in erster Linie für Texte zur Kunst. Sie ist mit Helmut Draxler, Clemens Krümmel und Susanne Leeb Mitherausgeberin von Polypen – eine Buchreihe zu Kunstkritik und politischer Theorie. Zu ihren jüngsten Veröffentlichungen zählt Denken gegen das Denken. Produktion – Technologie – Subjektivität bei Sol LeWitt, Hélio Oiticica und Yvonne Rainer, (Berlin: b-books 2007).

Im Rahmen der Ausstellung For the Use Of Those Who See

Mit freundlicher Unterstützung der Schering Stiftung und des Hauptstadtkulturfonds, Berlin.

Herzlichen Dank an den Lette-Verein für die Bestuhlung.