Bed of Film

 

 

29. Mai – 12. Juli 02

 

 

von Michael Baute und Antje Ehmann

Für das zweite Travelling-Programm des Bed of Film nahmen wir uns vor, das Thema wörtlich zu nehmen – uns also mit dem filmischen Stilmittel der Kamerafahrt zu beschäftigen. Und je mehr Travellings wir sichteten, sammelten und ausschlossen, desto klarer wurde dies: Travellings sind nur schwer miteinander zu vergleichen, auf eine oft so einzigartige Weise in den Filmen verankert und so sehr von den jeweiligen Dispositiven und Autorenhandschriften geprägt, dass der Versuch, hier strukturelle Ordnung zu schaffen, doch nur darauf hinausliefe, unserem Gegenstand die Besonderheit auszutreiben.

Natürlich kann man versuchen, die Vielfalt zu benennen.

Es gibt Fahrten, die sich beschleunigen, bis zum Zenit, zum notwendigen Fall der Bewegung. (Carax, Mauvais Sang). Andere folgen dem strengen System des genauen Tempos: die km/h einer Autofahrt kann dem jeweiligen inneren Rhythmus eines Films auf herzzerreißend genaue Weise entsprechen (Kiarostami, Quer durch den Olivenhain) oder ihm entgegenlaufen, um nach einer scheinbar unendlich langen statischen Sequenz den Film zu entankern, die Fäden des Plots zu lösen und loszulassen. (Helke Sander, Redupers). Da haben wir dann auch die Intervalle, in denen geschwiegen wird und die den Film mit Welt aufladen, indem diese durchfahren und nicht herbeigeredet wird. (Klopfenstein, Das Schlesische Tor; Hsou Hsiao-Hsien). Natürlich sind Travellings auch das beliebte Mittel, die ProtagonistInnen auf die schönste Weise zusammenzubringen. Das wäre die kinetische Lösung ins psychologisch-metaphorische gewendet; der Übergang vom Stillstand zur Bewegung (Pasolini, Mamma Roma) oder von einer Bewegung zu einer anderen; von der Provinz in die Metropole. (Hou Hsiao-Hsien, Goodbye South Goodbye). Das Motiv des Sich-im-Kreis-Bewegens (Kamensky, Divina Obsésion), das das Gefängnis stets mitaufruft, macht Bewegung überhaupt zur traurigen Trope. Zu denken an so etwas wie das "letzte Travelling", das alle Nuancen von dem, was Bewegung sein kann, noch einmal wie ein Abendrot aufscheinen läßt. (Jafar Panahi, The Circle).

Nur ein Beispiel aus Jean-Luc Godards Film Weekend: dieser berühmteste Fall einer sieben minütigen Kamerafahrt zeigt paradoxerweise einen Stau... Mit Godards Filmen, die über vier Jahrzehnte Travellings am vielfältigsten erprobt haben, ließe sich mehr als ein "bed of film" füllen. Daher die notwendige Beschränkung. Auch Grandrieuxs Film Sombre und seine verstörenden Travellings wollen wir den ZuschauerInnen gerne unkommentiert überlassen. De Palma figuriert als das Protz-Beispiel mit dem größten Produktonswert und den irrsinnigsten Travelling-Ideen. Ein ganz anderes Verfahren nutzen Gianikian / Ricci-Lucci (From the Pole to the Equator). Ihre Filme sind Travellings durch die Filmgeschichte, wobei sie viele Einstellungen aufgreifen, die selber Fahrten sind. Und jede ruft unendliche, andere mögliche und tatsächliche, auf. Die Filmgeschichte besteht aus einem unerschöpflichen Arsenal von Kamerafahrten. Einige haben wir hier zusammengestellt, allesamt aus Filmen – that's the rule –, die wir lieben.

(Antje Ehmann)