Kuratorische Einführung
BPA// Exhibition 2024
Half-Light
16. November 24 –
5. Januar 25

 

Künstler*innen: Jan Berger, Göksu Kunak, Hamlet Lavastida, Arash Nassiri, Natis & Hasso Weiß Ehrenwerth, Adriana Ramić, Josefine Reisch, Xavier Robles de Medina, Simon Speiser, Zhiyuan Yang

 

<p>Xavier Robles de Medina, <em>Snow White and the Seven Dwarfs. Directed by David Hand (supervising a team of sequence directors), Walt Disney Productions, 1937</em>, 2023. Courtesy der Künstler und Catinca Tabacaru Gallery. Foto: Marjorie Brunet Plaza.</p>

Xavier Robles de Medina, Snow White and the Seven Dwarfs. Directed by David Hand (supervising a team of sequence directors), Walt Disney Productions, 1937, 2023. Courtesy der Künstler und Catinca Tabacaru Gallery. Foto: Marjorie Brunet Plaza.

 

Die KW Institute for Contemporary Art und das BPA// Berlin program for artists freuen sich, die Ausstellung BPA// Exhibition 2024 – Half-Light, mit Werken der Teilnehmenden des BPA// Programmzyklus 2023–2024 zu präsentieren. Sie findet auf zwei Etagen des Hauptgebäudes der KW statt.
Mit zehn künstlerischen Positionen navigiert Half-Light durch Momente der Klarheit und Unklarheit. Wie der Titel andeutet, erkundet die Ausstellung einen Zustand, in dem die Sichtbarkeit eingeschränkt ist und Grenzen verschwimmen, Dinge zwar erkennbar, aber nicht vollständig erfassbar sind. In diesem Raum der Mehrdeutigkeit – in wandelbaren Welten – verschiebt sich kontinuierlich die Grenze zwischen Realem und Imaginiertem, zwischen dem, was als wahr oder falsch gilt.
Die Werke finden jeweils ihren eigenen Zugang zu verbindenden Fragen und Themen. Reisch und Robles de Medina befassen sich mit Wiederbetrachtungen von Geschichte und kulturellem Gedächtnis und decken anhand (verzerrter) Darstellungen bestimmter Gruppen auf, wie Identität durch kulturelle Narrative geprägt wird. Auf ähnliche Weise setzen sich Kunak, Lavastida und Yang mit historischen Ereignissen oder Symbolen auseinander, um Machtstrukturen zu kritisieren – vom Kolonialis­mus bis zur politischen Propaganda. Dabei untersuchen sie, wie politische Ereignisse oder Figuren visuell und kulturell reproduziert werden. Sowohl Berger als auch Natis rücken Analysen wirtschaftlicher und sozialer Systeme innerhalb der Kunstwelt selbst in den Vordergrund und nutzen virtuelle Räume, parafiktionales Schreiben oder Performance als Werkzeuge, um gegenwärtige Realitäten zu hinterfragen oder alternative Zukünfte zu entwerfen. Nassiri, Speiser und Ramić schaffen Grenzräume – zwischen Kulturen, Natur und Technologie oder dem Inneren und dem Äußeren. Sie konzipieren spekulative urbane Szenarien, übersetzen das Spirituelle ins Digitale oder unternehmen konzeptuelle Erkundungen der Sprache. Die Werke in Half-Light spielen, jedes auf seine eigene Weise, mit den Grenzen von Realität und Fiktion und fordern uns dazu auf, unsere Wahrnehmung und Definition von beidem neu zu denken.
Seit 2020 existiert die Partnerschaft zwischen den KW und dem BPA// Berlin program for artists. BPA// ist eine von Künstler*innen geführte Organisation, die 2016 von Angela Bulloch, Simon Denny und Willem de Rooij gegründet wurde. Im Mittelpunkt des Programms stehen gegenseitige Atelierbesuche zwischen Teilnehmenden und Mentor*innen. Dies wird durch eine Reihe öffentlicher Veranstaltungen ergänzt, die in Kooperation mit Projekträumen und renommierten Institutionen entstehen. Die Teilnahme an BPA// dauert zwei Jahre. Sie ist kostenfrei und die Teilnehmenden erhalten Unterstützung bei der Produktion neuer Arbeiten.

 

 

Künstler*innen

 
<p>Jan Berger, <em>Act of Contrition</em>, 2024. Videostill.</p>

Jan Berger, Act of Contrition, 2024. Videostill.

 

Jan Berger (*1993, DE)

 

Act of Contrition (AOC), 2024
Video-­Installation, Holz, Ölfarbe, Siebdruck, UV-­Druck, 3D­-gedrucktes PET­G

Maße variabel
18:31 min
Courtesy der Künstler
In Zusammenarbeit mit: Theresa Büchner, Chris Dake­-Outhet, Etienne Darcas, Katrin Dittmayer, Nina Lissone, Arootin Mirzakhani, Sebastian Sailer, Sarah Trottier

Schnitt: Katrin Dittmayer
Musik: Ian Rodriguez
3D-Modellierung: Christian Zajac
Grafikdesign: Gossip

Magazine: Kathrin Baumgartner

 

Jan Berger untersucht in seiner künstlerischen Praxis die Bildung von Subjektivität und die Entstehung kultureller Mythologien in Online-Räumen. Dafür erschafft er Infrastrukturen für vernetzte Rollenspiele, in denen Nutzer*innen Prototypen kultureller Räume erproben können.

 

Für Act of Contrition (AOC) (2024) hat Berger eine solche Infrastruktur auf der Online­-Spieleplattform Roblox entwickelt, die hauptsächlich von Jugendlichen verwendet wird und von der Monetarisierung nutzergenerierter Inhalte profitiert. AOC ist das Pilotprojekt und Name einer Kreativagentur für digitale Inhalte, die von einem Team aus Teenage­Avataren geleitet wird, deren Erscheinung medienwirksam Attribute von Tiqquns Theory of the Young-Girl, Rokoko-Ästhetiken und christliche Mythologie in sich vereint. Aufnahmen spielinterner Szenen aus dem Hauptquartier von AOC gewähren uns Einblicke in die gelebte Internet-Folklore der Charaktere, die in Form ausgesuchter Symbolobjekte aus dem Digitalen bis in den Ausstellungsraum reicht. Berger unterwandert das Roblox- System, indem AOC die Infrastruktur der Plattform nutzt, um davon losgelöste Projekte zu realisieren und mit alternativen Arten künstlerischer Zusammenarbeit zu experimentieren.

 

 

 

<p>Göksu Kunak, <em>Gone with the Wind</em>, 2024. Autoteile, Latex-Wetterballon, Video, Ton, Acryldruck, Textildruck, Theaterstrahler</p>

Göksu Kunak, Gone with the Wind, 2024. Autoteile, Latex-Wetterballon, Video, Ton, Acryldruck, Textildruck, Theaterstrahler

 

Göksu Kunak (*1985, TR)

 

Gone with the Wind, 2024
Autoteile, Latex-Wetterballon, Video, Ton, Acryldruck, Textildruck, Theaterstrahler

Maße variabel
38:58 min
Courtesy der*die Künstler*in

 

Göksu Kunak binden in ihren Performances und Installationen textliche und audiovisuelle Elemente ein, die (chrono­)politische Ereig­nisse an der Schnittstelle nicht-westlicher, stereotypisierter Dramaturgien und der (Selbst-)Zensur thematisieren. Dabei verweben sie zeitgenössische Phänomene mit einer Ästhetik, die den Körper als Skulptur und die Muskeln als Objekt inszeniert.

 

Im Zentrum der multimedialen Installation steht der Autounfall als Metapher für ein politisch korrumpiertes und patriarchales System. Gone with the Wind (2024) bezieht sich auf einen tödlichen Autounfall, der sich 1996 in der türkischen Stadt Susurluk ereignete und einen politischen Skandal auslöste: Die ominöse Verstrickung der Insassen – zwischen der türkischen Regierung, der ultranationalistischen, paramilitärischen Organisation Graue Wölfe und der türkischen Mafia – enthüllte einen Staat im Staat und führte zu einer Zäsur. Die Aufnahme eines ramponierten Mercedes wurde zum viralen Beweismittel und später zur Vorlage einer populären türkischen Seifenoper. Kunak hat dieses Bild aufgegriffen und verfremdet. Räumlich um Autoteile ergänzt, dient es als Simulakrum von Staatsgeheimnissen, Korruption und den damit einhergehenden Politiken des Verschweigens und Vertuschens.

 

 

 

<p>Hamlet Lavastida, <em>Vida Profiláctica</em>, 2015. Installationsansicht der Ausstellung <em>Iconocracia</em> im Centro de Arte Contemporáneo Artium, ES.</p>

Hamlet Lavastida, Vida Profiláctica, 2015. Installationsansicht der Ausstellung Iconocracia im Centro de Arte Contemporáneo Artium, ES.

 

Hamlet Lavastida (*1983, CU)

 

Tercer Mundo, Tercera Guerra Mundial
(Dritte Welt, Dritter Weltkrieg / Third World, Third World War), 2024

Papierschnitt
je 100 × 70 cm
Courtesy der Künstler

 

Causa No.1 – 1989. Nosotros los acusados aquí / Antonio de la Guardia y Font
(Fall Nr. 1 – 1989. Wir, die Angeklagten hier / Antonio de la Guardia y Font), 2019

Video, Sound
1:55 min
Courtesy der Künstler

 

Hamlet Lavastida verarbeitet in seiner Praxis die Verflechtung der politischen Geschichte des Landes Kuba und dessen ikonographische Sprache. Mit seinen großformatigen Papierarbeiten schafft er ein fortlaufendes dokumentarisches Register, das die didaktischen Symbole mit einer Sprache der Unterdrückung konfrontiert. In der Serie Tercer Mundo, Tercera Guerra Mundial (2024) zeigt Lavastida visuelle Zusammenhänge auf, die er zwischen Grafiken und Emblemen öffentlicher kubanischer Einrichtungen und denen ultranationalistischer oder paramilitärischer Organisationen beobachtet. Lavastida fordert damit eine kritische Auseinandersetzung mit der kubanischen Geschichte und den transnationalen Partnerschaften Kubas mit anderen repressiven Regimen. In der Videoarbeit Causa No. 1 – 1989. Nosotros los acusados aquí / Antonio de la Guardia y Font (2019) collagiert Lavastida Zeitungsartikel, Ausschnitte militärischer und historischer Magazine sowie Originaltonaufnahmen eines Verhörs von Antonio de la Guardia, der, wie viele andere Militärs, von der eigenen Regierung hingerichtet wurde. Der Rhythmus ist von einer bestimmten kinematografischen Erzählweise inspiriert, die in den frühen Tagen der kubanischen Revolution praktiziert wurde.

 

Beide hier ausgestellte Werkserien schaffen kulturelle Bildarchive, die die unterdrückende Macht und psychologischen Mechanismen der kubanischen Propaganda dokumentieren. Aufgrund seines künstlerischen Schaffens und „ästhetischen Ungehorsams“ wird Lavastida als Dissident und vermeintlicher Gegenrevolutionär von der kubanischen Staatssicherheit überwacht und ist infolgedessen 2021 des Landes verwiesen worden.

 

 

 

<p>Arash Nassiri, <em>Untitled</em>, 2024. Mixed media, LCD Monitore, Video, Aluminiumtraverse, Foto: der Künstler.</p>

Arash Nassiri, Untitled, 2024. Mixed media, LCD Monitore, Video, Aluminiumtraverse, Foto: der Künstler.

 

Arash Nassiri (*1986, IR)

 

Untitled, 2024
Kunststoff, Holz, LCD ­Monitore, Video, Aluminiumtraverse
69 × 650 × 29 cm
Courtesy der Künstler

 

Arash Nassiri befasst sich in seiner künstlerischen Praxis mit der Beziehung von Kultur und Architektur sowie mit Migration und Zugehörigkeit. Mittels Skulptur und Bewegtbild untersucht er, wie westliche modernistische Ideologien und Utopien in der Landschaft von Teheran fortbestehen und wie sie durch spekulative Szenarien und Objekte sichtbar werden können, wobei er insbesondere Räume des Übergangs in den Blick nimmt.

 

Die modellartigen Miniaturen sind gebrauchte Spielzeughäuser des Herstellers EPOCH, die englischen Landhäusern nachempfunden sind und seit den 1980er Jahren in Japan produziert werden. Nassiri beschreibt diese Übersetzung als Collage, in der eine Kultur durch die Perspektive einer anderen betrach tet wird. Der Künstler fügt flackernde Displays mit Reproduktionen von animierter Werbung aus den Straßen von Teheran hinzu. In orangenes Halblicht getaucht, verzerrt die filmische Kulisse unsere Orientierung: Verortet zwischen idyllischer Vorstadt und urbanem Raum, Gezeigtem und Verborge­nem, Fremdem und Vertrautem, sind die Häuser ein visuelles Experiment, in dem sich Abwesenheit und Verlust mit einer Melancho­lie für modernistischen Fortschritt kreuzen.

 

Unterstützt vom Institut Français und dem französischen Kulturministerium

 

 

 

<p>Natis, <em>Bloody Square</em>, 2023. Öl auf Spanplatte, Vorder- und Rückseite, Foto: der Künstler.</p>

Natis, Bloody Square, 2023. Öl auf Spanplatte, Vorder- und Rückseite, Foto: der Künstler.

 

Natis (*1986, CY)

& Hasso Weiß Ehrenwerth (*1988, DE)

 

Launch and Cease, 2024

 

Natis erforscht die Zusammenhänge zwischen seiner eigenen Psyche und den Idealen westlicher Subjektivität, insbesondere wie sie sich in der Figur des Künstlers widerspiegeln. Um das zu untersuchen, erschafft und nutzt er verschiedene Künstler*innen-Figuren mit eigener Geschichte, Persönlichkeit und künstlerischer Praxis: Die erste war Hasan Aksaygın, ein zypriotischer Konzeptmaler und Erzähler parafiktionaler Geschichten, der das individuelle und kollektive visuelle Unterbewusstsein ergründet. Darauf folgte Hank Yan Agassi, ein aus einer unbestimmten Zukunft stammendes Wesen, dessen malerische Praxis und Recherche sich aus einer postzeitlichen, im Gegensatz zu einer urzeitlichen, Perspektive mit irdischen Materialitäten befasst.

 

Anlässlich dieser Ausstellung veröffentlicht Natis eine weitere Künstler*innen-Figur: Hasso Weiß Ehrenwerth, ein deutsch­ britischer Maler, der mit gewagtem Duktus Neo­-Expressionismus und Surrealismus vereint. Aus psychosomatischen Gründen hinkt er auf dem linken Bein. Neben
Hassos Malerei präsentiert Natis seine Publikation Dialogues of Four Passions (2024), ein parafiktionales Drehbuch, das die Integration dieser neuen Figur in seine bestehende psychische Struktur und die damit einhergehenden Herausforderungen beschreibt. Zur Werkgruppe gehören mehrere Objekte, die mit der neuen Präsenz Ehrenwerts in Verbindung stehen: ein Vertragsdokument, sein Gehstock, ein Podest und The Painting Behaviour Modification Tool (2024), ein Instrument, das getragen den Pinselstrich optimieren soll.

 

Natis
Dialogues of Four Passions, 2024–
Schraubbuch, präsentiert mit zwei zypriotischen orthodoxen Votivkerzen in Form eines Arms und eines Beins
18 × 23 cm
Courtesy Archiv von Natis

 

Hasso Weiß Ehrenwerth

Untitled, 2024
Öl auf Leinwand

180 × 260 cm
Courtesy der Künstler

 

Natis
Collaboration Agreement, 2024
Holzrahmen, Glas, Papier

73 × 93 × 3,5 cm
Courtesy Archiv von Natis

 

Natis
Pedestal, 2024
Faserplatte, Styropor, Textil

77 × 129 × 18 cm
Courtesy Archiv von Natis

 

Natis
The Painting Behaviour Modification Tool, 2024

Leder, Holz, Metall
Maße variabel
Courtesy Archiv von Natis

 

Natis
Hasso’s Walking Stick, 2024
Holz
90 × ⌀2,8 cm
Courtesy Archiv von Natis

 

 

 

<p>Adriana Ramić, <em>With respect to the body skeleton</em>, 2024. 2-Kanal-Video-Installation, Holz, Aufkleber.</p>

Adriana Ramić, With respect to the body skeleton, 2024. 2-Kanal-Video-Installation, Holz, Aufkleber.

 

Adriana Ramić (*1989, US)

 

With respect to the body skeleton, 2024
2-Kanal-Video-Installation, Holz, Aufkleber

Maße variabel
59:17 min
Courtesy die Künstlerin

 

Unseen Behavior, 2024
Aufkleber auf bemaltem Holz

Maße variabel
Courtesy die Künstlerin
Farbkorrektur: Pascual Sisto
Mit Dank an Bridgette Bien, Elmæ Muslija und Dennis Witkin

 

Adriana Ramić untersucht in ihren Arbeiten das Innere organischer und maschineller Wesen sowie ihre Systeme des Verhaltens und Verstehens. Dabei stützt sie sich auf Studien kognitiver Modelle, rechnerische Logik und Literatur.

 

Für With respect to the body skeleton (2024) filmte sie Blattkäfer, deren schillernde, zarte Körper sich sanft über Ingwerblüten bewegen und sie bestäuben. Ausgangspunkt der Installation war Ramićs Auseinandersetzung mit Ludwig Wittgensteins Gedankenexperiment „Käfer in der Schachtel“ (1936–1946), eine Parabel, mit der der Philosoph gegen das Konzept der „Privatsprache“ argumentiert. Damit ist eine Sprache gemeint, die nur wir selbst verstehen und nutzen, um unsere innersten persönlichen Empfindungen zu schildern, wie zum Beispiel Schmerz. Jede*r hat einen „Käfer“ (eine innere Erfahrung) in seiner*ihrer eigenen Schachtel, aber niemand kann in die Schachtel eines*r anderen schauen. Es könnte sein, dass jede*r etwas anderes als „Käfer“ bezeichnet – und doch funktioniert die Sprache. Der „Käfer“ der anderen ist nicht beobachtbar oder überprüfbar – möglicherweise ist die Schachtel sogar leer. Wittgenstein zeigt damit, dass die Bedeutung von Wörtern nicht die privaten inneren Zustände wiedergibt, sondern vielmehr im öffentlichen Austausch und in Gemeinschaft entsteht. Ramić nutzt diese philosophische Debatte, um in die unbeschreibbare Natur innerer Erfahrungen einzutauchen. Entgegen der Käfer in Wittgensteins Experiment werden die Käfer in ihrer Arbeit sichtbar: Sie haben ihre Schachteln verlassen und fordern so dazu auf, darüber nachzudenken, wie sich verborgene innere Erfahrungen manifestieren und wie wir versuchen, sie nach außen zu tragen.

 

Die Installation Unseen Behavior (2024) enthält Tieraufkleber, die aus Schokoriegeln des kroatischen Herstellers Kraš stammen. Ihre Anordnung erinnert an Klassifizierungs­systeme und zeichnet die Architektur des Ausstellungsraums nach.

 

 

 

<p>Josefine Reisch, <em>Viewing Room</em>, 2023. Öl und Gouache auf Leinwand. Courtesy die Künstlerin und Galerie Noah Klink, Berlin.</p>

Josefine Reisch, Viewing Room, 2023. Öl und Gouache auf Leinwand. Courtesy die Künstlerin und Galerie Noah Klink, Berlin.

 

Josefine Reisch (*1987, DE)

 

Prospects, 2024
Öl und Blattmetall auf Samt, Moiré, Leinwand, Seilzüge
je 280 × 460 cm
Courtesy die Künstler*in und Galerie Noah Klink, Berlin

 

Josefine Reisch bedient sich in ihrer künstlerischen Praxis historischer Momente und Figuren, die sie in neuen Bild- und Materialkompositionen zusammenbringt, um den Wert und die Gültigkeit von kulturellem Erbe zu hinterfragen. Mittels der Brechtschen Erzähltechnik der Historisierung fordert Reisch die patriarchale Subjektivität des materiellen Mainstreams heraus, um konventionelle künstlerische Darstellungen von Weiblichkeit zu untergraben.

 

In Prospects (2024) bilden zwei Bühnenhintergründe die Kulisse für dynamische Akte. Der erste Akt zeigt eine fragmentierte Tischszene, die auf den Ruhm und die Exzesse von Katharina der Großen und ihre Erfolge in Russland verweist. Der zweite Akt zitiert ein Körperelement aus dem Mosaikfries Unser Leben (1964) am Haus des Lehrers in Berlin, das von Walter Womacka, einem Vertreter des sozialistischen Realismus, entworfen wurde. Im Hinblick auf das Frauenbild der DDR hinterfragt Reisch auch den spezifischen Kontext des deutsch­ russischen Verhältnisses. Beide Akte beleuchten die historische Wahrnehmung und Rolle der Frau* im politischen Raum, die zwischen Instrumentalisierung und Diffamierung sowie Macht und Repräsenta­tion changiert, und zeigen auf, wie kontrovers weibliche Selbst- und Fremdzuschreibungen sein können – insbesondere im Kontext totalitärer Systeme.

 

 

 

<p>Xavier Robles de Medina, <em>Aaliyah. Queen of the Damned. Directed by Michael Rymer, Warner Bros. Pictures, 2002</em>, 2023–2024, Acryl auf Holz.</p>

Xavier Robles de Medina, Aaliyah. Queen of the Damned. Directed by Michael Rymer, Warner Bros. Pictures, 2002, 2023–2024, Acryl auf Holz.

 

Xavier Robles de Medina (*1990, SR)

 

Aaliyah. Queen of the Damned. Directed by Michael Rymer, Warner Bros. Pictures, 2002, 2023–2024
Acryl auf Holz
83 × 74 cm
Courtesy der Künstler und Catinca Tabacaru Gallery, New York

 

Snow White and the Seven Dwarfs. Directed by David Hand (supervising a team of sequence directors), Walt Disney Productions, 1937, 2023
Patiniertes Bronze
24 × 32 × 10 cm
Courtesy der Künstler und Catinca Tabacaru Gallery, New York

 

Xavier Robles de Medina verwebt in seiner Praxis persönliche Erfahrungen und kreolische, queere Subjektivität mit größeren sozio­politischen Kontexten. Dabei verwendet er oft popkulturelle Referenzen.

 

Sein Gemälde zeigt eine Szene des Films Königin der Verdammten (2002), in dem die Urvampirin Akasha von der frühzeitig verstorbenen R’n’B­-Sängerin Aaliyah gespielt wird. Ihre Darstellung ist von kulturellen Aneignungen durchdrungen und dient als Metapher für Erfahrungen der Diaspora und die Folgen der Kolonialgeschichte. Das Werk verhandelt die komplexe Art und Weise, auf die Charaktere konstruiert werden und beschäftigt sich damit, wie sich Kulturen überschneiden. Es übt Kritik daran, wie Mainstream­-Medien unser Verständnis von Geschichte und Identität formen. Robles de Medinas’ Bronze-Relief greift eine Szene aus dem Disneyfilm Schneewittchen und die sieben Zwerge (1937) auf und hinterfragt anhand dieser die koloniale Darstellung von Natur als „wild“ und „unzähmbar“. Beide Arbeiten laden dazu ein, festgefahrene Vorstellungen von „Andersartigkeit“, Identität und Macht aufzubrechen.

 

 

 

<p>Simon Speiser, <em>La Vision del Monte</em>, 2023. Mechatronische Lichtskultpur, 3D Drucke. Foto: der Künstler.</p>

Simon Speiser, La Vision del Monte, 2023. Mechatronische Lichtskultpur, 3D Drucke. Foto: der Künstler.

 

Simon Speiser (*1988, DE)

 

La Visión del Monte (Die Vision der Wildnis), 2023

Mechatronische Lichtskulptur, 3D-Drucke, Ton

Maße variabel
20 min, Englisch und Spanisch im Wechsel

Courtesy der Künstler

 

Simon Speiser befasst sich mit dem Zusammenspiel menschlicher und technologischer Welten, virtueller Realitäten und überlieferter Folklore. Seine Arbeiten bedienen sich häufig dem Medium des Geschichtenerzählens und greifen nicht-westliche Konzepte von Technologie auf.

 

Mit La Visión del Monte (2023) übermittelt Speiser vier Geschichten aus der afroecuadorianischen Folklore über spirituelle Begegnungen im Regenwald in der ecuadorianischen Provinz Esmeraldas.
Sie basieren auf Erzählungen seines Vaters und anderer Bewohner*innen des ländlichen Raumes von Esmeraldas und überliefern die komplexe Geschichte der Maroon-Gemeinschaft Ecuadors und ihrer Spiritualität. Speisers mechatronische Lichtskulptur visualisiert die Geschichten durch ein KI-generiertes Schattenspiel, das die Erzählstimme seines Vaters begleitet. Dieselben Motive dienen auch als Grundlage für seine Collagen und Ferrotypien, die die einzelnen Erzählungen in einer anderen Form begleitend illustrieren.

 

Un ruido (Ein Geräusch), 2023

Collage, Graphitzeichnung
53 × 80 cm

Courtesy der Künstler

 

Un olor (Ein Geruch), 2023

Collage, Graphitzeichnung
56 × 81 cm

Courtesy der Künstler

 

Un sueño (Ein Traum), 2023

Collage, Graphitzeichnung
55 × 55 cm

Courtesy der Künstler

 

Espíritus del manglar (Mangrovengeister), 2023
Ferrotypie
12 × 10 cm
Courtesy der Künstler

 

Monte (Wildnis), 2023

Ferrotypie
12 × 10 cm
Courtesy der Künstler

 

 

 

<p>Zhiyuan Yang, <em>Make A Little Sun</em>, 2024. Videostill.</p>

Zhiyuan Yang, Make A Little Sun, 2024. Videostill.

 

Zhiyuan Yang (*1992, CN)

 

Make a Little Sun, 2024
Video, Ton
7:36 min
Courtesy die Künstlerin

 

Zhiyuan Yang widmet sich in ihrer konzeptuell ausgerichteten Praxis den elitären Barrieren des Kunstbetriebs und unterläuft dessen Systeme durch verschiedene Strategien des Ausweitens und Negierens gegebener Möglichkeiten. Den Ausgangspunkt ihrer kritischen Auseinandersetzung bilden kapitalistische und imperiale Strukturen, die Logik von Ressourcen und politische Krisen sowie die daraus resultierenden sozio­politischen Nachwehen, die über Generationen andauern.

 

In Make a Little Sun (2024) entwirft Yang eine Kurzversion des ersten und einzigen Science-Fiction-Films, der in China vor der Wirtschaftsreform und Öffnung des Landes produziert wurde. Als Lehrfilm konzipiert, erzählt Little Sun (1963) die utopische Geschichte von Kindern als Wissen­schaftler*innen, die eine künstliche zweite Sonne zur Steigerung der Nahrungsmittelproduktion in China erschaffen. Der Film gilt als informelle Reaktion auf die Große Chinesische Hungersnot (1959–1961).
Hier reflektiert Yang über eine Reihe globaler Ereignisse – wie die Entwicklung der Kernkraft und die Ausweitung von Weltraummissionen –, kritisiert Modernisierungs­strategien, deren katastrophale Folgen und stellt mögliche Alternativen zum Kapitalismus in Frage.

 

Alliance Knot, 2024
Baumwollstoff, Naturfaserseile, künstliche Mohnblumen
Maße variabel
Courtesy die Künstlerin

 

Das sogenannte Jahrhundert der Demütigung in China war geprägt von Hungersnöten und gewaltsamen Ausschreitungen, beginnend mit dem erzwungenen Opiumhandel und dem Ersten Opiumkrieg (1839–1842), über die Revolution von 1911, die Chinas letzte kaiserliche Dynastie beendete, bis hin zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Alliance Knot (2024) bezieht sich auf die Acht-Nationen- Allianz (Italien, USA, Frankreich, Österreich- Ungarn, Japan, Deutsches Reich, Vereinigtes Königreich und Russland), die 1900 in Peking einfiel, um den antiimperialistischen Boxer­ aufstand zu unterdrücken, der aus dem Kampf gegen die Vorherrschaft der Kolonial­mächte und deren Besetzung von Land und Handelswegen erwuchs. Angelehnt an Militaria jener Zeit, ließ Yang historische Seekriegsflaggen in China reproduzieren und verflechtet diese miteinander, um an die korrumpierte Existenz eines solchen Bünd­nisses zu erinnern, das von einem kollektiven Streben nach Macht und Wohlstand angetrieben war.

 

 

 

 

Impressum

 

Kuratorin: Linda Franken

Assistenzkuratorin: Sophia Yvette Scherer

Kuratorin Begleitprogramm: Anna-Lisa Scherfose

Produktionsleitung: Claire Spilker

Technische Leitung: Wilken Schade

Leitung Aufbauteam, Medientechnik: Markus Krieger

Aufbau: KW Aufbauteam

Programmkoordinator und Outreach: Nikolas Brummer

Presse und Kommunikation: Marie Kube, Anna Falck-Ytter, Luisa Schmoock

Text und Redaktion: Linda Franken, Sophia Yvette Scherer, Anna-Lisa Scherfose

Übersetzung und Lektorat: Sylee Gore, Sabine Reiher, Jayne Wilkinson

Wissenschaftliches Volontariat: Aykon Süslü

Praktikant*innen: Kimia Godarzani-Bakhtiari, Louison Jenkins, Ula Alexandra Lucas

 

 

 

In Partnerschaft mit

 

<p>BPA// Berlin program for artists wird gefördert durch</p>

 

BPA// Berlin program for artists wird gefördert durch

 

<p>Die BPA// Exhibition 2024 wird ermöglicht durch</p>

 

Die BPA// Exhibition 2024 wird ermöglicht durch

 

<p>Unterstützt von</p>

 

Unterstützt von