Francis Alÿs
Die KW Institute for Contemporary Art freuen sich, ein außergewöhnliches Ausstellungsprojekt zu präsentieren: Auf Einladung der KW hat der in Mexiko City lebende, gebürtige Belgier Francis Alÿs gemeinsam mit dem mexikanischen Filmemacher Alejandro González Iñárritu an einer Ausstellung gearbeitet, die den vielfach preisgekrönten (u.a. Cannes - Critic's Week 2001, Best Film) und Oskar-nominierten Film Amores Perros von Alejandro González Iñárritu als Ausgangspunkt nimmt.
Francis Alÿs, dessen eigene Einblicke und Portraits über den Alltag Mexico City's in der aktuellen Kunstszene prägend und viel beachtet sind, präsentiert in dieser Ausstellung eine Untersuchung über Fiktion und Dokumentation am Beispiel des Films Amores Perros, der in seiner Erzähltechnik und Radikalität bahnbrechend ist. Für seine Interpretation stellte Francis Alÿs gemeinsam mit dem Regisseur eine Auswahl der vielschichtigen Filmmaterialien zusammen. Alle in der Ausstellung gezeigten Materialien wurden nie für den Film verwendet, entweder weil sie von vornherein nur ein Aspekt in der Vorbereitung waren, wie Recherchen, Probeaufnahmen und Castings, weil sie nicht in den endgültigen Schnitt aufgenommen wurden (rushes) oder weil sie nur ein Schritt in einer immer detaillierteren Fiktion waren.
In seiner Auswahl folgte Alÿs zwei Kriterien. Zum einen zeigt er die Entwicklung von Realität zu Fiktion und umgekehrt, indem er die verschiedenen Schritte des Filmemachens verfolgt - von Storyboard-Zeichungen, Recherchefotos und einer ersten cruden Videodokumentation bis hin zu dem letzten gefilmten Material, das gedreht wurde unmittelbar bevor die Fiktion erreicht wird - und dadurch verdeutlicht, das der Film ein immer überzeugenderes Abbild der Realität ist, je fiktiver er durch die Manipulation mit Make-up, Ausleuchtung und Inszenierung wird. Zum anderen untersucht Alÿs die Politik des Probens. Der stockende Effekt, der durch die aufeinanderfolgenden Proben provoziert wird und der durch die Wiederholung der immer gleichen Szenen eine Art Hypnose auslöst, entblößt die Ausdauer und Geduld der Protagonisten im Leben wie im Film. Amores Perros ist eine Metapher für das Zusammenleben von Kreaturen (Mensch und Hund) in der grössten Stadt der Welt und beschreibt durch die bindende Klammer eines Autounfalls deren Abhängigkeiten. In seiner Untersuchung der Entwicklung des Filmes und der Beziehungsebenen im Spiel, wie im realen Leben spiegelt Alÿs diese Abhängigkeiten und Verknüpfungen und nimmt sie auch als Ausgang für die Präsentation seiner Ausstellung.
Der Betrachter wird mit einer Geschichte vertraut gemacht, deren Handlung immer wieder verzögert wird und in der die Geschichte selbst von dem Versuch sie zu erzählen, überholt wird. Das Bedürfnis, den Ausgang der Geschichte zu erfahren, schwindet. Sowohl das Zeigen der langsamen aber konstanten Entwicklung zur eigentlichen Schauspielerei und Repräsentation, die letztlich nie erreicht wird, als auch die Herausstellung des Probenablaufs werden zu Metaphern für die Gesellschaft Mexikos - für ihr ambivalentes Verhältnis zur Moderne, angestrebt und doch immer wieder verzögert, für das ständige Warten auf den Durchbruch, die Reform, den Moment, das „Es" passiert und für das Bestreben, in einer offenen nicht festgelegten Übergangssituation zu verharren.
Das Projekt wurde ermöglicht durch die enge Zusammenarbeit von Francis Alÿs und Alejandro González Iñárritu/Lucero Gutiérrez mit Klaus Biesenbach, künstlerischer Leiter der KW und Chief-Curator des P.S.1/MoMA, der im Zuge der Vorbereitung einer großangelegenten Gruppenausstellung über zeitgenössische Kunst aus Mexiko City seit vergangenem Jahr vermehrt in Mexiko arbeitet (Eröffnung: Juni 02/P.S.1 und Sept. 02/KW). Die Ausstellung wurde gemeinsam mit und für die KW konzipiert und erfüllt das Ziel der KW, neue Arbeiten internationaler Künstler erstmalig vorzustellen und wenn möglich, auch gemeinsam zu produzieren.
Die Ausstellung wurde realisiert mit Unterstützung von: Sammlung Olbricht, Wolfgang Schoppmann und Freundeskreis der Kunst-Werke Berlin, GZK e.V..