KW Production Series 2020: Onyeka Igwe
12.–30. Dezember 20
Online-Ausstellung auf der Webseite der KW
Mit gleichsam forensischer Linse untersucht Onyeka Igwes A So-Called Archive (dt. ein sogenanntes Archiv) die sich zersetzenden Lager des Britischen Empire. In dem Film werden Aufnahmen, die im vergangenen Jahr in zwei unterschiedlichen kolonialen Archivgebäuden gemacht wurden – eines in Lagos, Nigeria und das andere in Bristol, Großbritannien – miteinander zu einem Doppelporträt verwoben. Dabei werden die „akustischen Schatten“ der kolonialen Aufnahmen betrachtet, die trotz ihres schwindenden Andenkens und ihrer Materialien noch immer erzeugt werden. Igwes Film imaginiert, was aus diesen Archiven „verloren“ gegangen sein könnte. Dabei vermischt die Künstlerin die Genres von Hörspiel, Corporate Video-Touren und des „Detective Noir“ mit einer eindringlichen und kritischen Annäherung an den Schrecken der Entdeckung.
In Lagos war die ehemalige Nigerian Film Unit ansässig, eine der ersten selbstgesteuerten Außenstellen der britischen, visuellen Propagandamaschine Colonial Film Unit (1932-1955). A So-Called Archive dokumentiert ein Gebäude, dessen Inhalte weitestgehend entleert wurden: Verwahrloste Räume beherbergen heute Staub, Spinnweben, stehengebliebene Uhren und rostige und verrottende Zelluloidfilmdosen. Nicht nur wegen ihres Zustands, vielleicht auch, weil die Menschen sie nicht sehen wollen, ist es kein leichtes Unterfangen, die in dem Gebäude gefundenen Filme zu sichten. Zur gleichen Zeit war in dem von Siambard Kingdom Brunel entworfenen Bahnhof Bristol Temple Meads das ehemalige British Empire and Commonwealth Museum (2002-2009) untergebracht. Die umfassenden Foto-, Film-, Ton- und Objektsammlungen wurden in den Kolonien des ehemaligen Britischen Empire zusammengetragen. Wie die Nigerian Film Unit wurde auch dieses Museum geschlossen, kurz nachdem Vorwürfe über den illegalen Verkauf mehrerer Gegenstände erhoben wurden.
A So-Called Archive stellt diese ehemaligen „Schatzkammern“ mit ihren Verwahrungsgeschichten zusammen, der Monetisierung, der Dokumentation und nun auch des Verlassenseins als Metonyme für die andauernden Verstrickungen zwischen Vereinigtem Königreich und dessen ehemaligen Kolonien. Diese Stätten waren und sind noch immer Heimstatt purulenter Bilder, die wir nicht zu sehen vermögen.
Onyeka Igwe ist Künstlerin, Filmemacherin, Programmiererin und Forscherin. Sie lebt derzeit in London. In ihrer non-fiktionalen Videoarbeit verwendet Igwe Tanz, Stimme, Archiv und Text, um eine Vielzahl von Narrationen freizulegen. Die Arbeit untersucht den physischen Körper und den geografischen Raum als Ort kultureller und politischer Relevanz. Igwe’s Videoarbeiten wurden im Institute of Contemporary Arts, London, 2017; bei Dhaka Art Summit, 2020; und auf internationalen Filmfestivals gezeigt, darunter das London Film Festival, 2015; Rotterdam International (NL), 2018, 2019 und 2020; Edinburgh Artist Moving Image (GB), 2016; Images Festival, Toronto (CA), 2019, und das Smithsonian African American Film Festival, Washington, D.C., 2018. Zu Igwe’s Einzelprojekten gehören Corrections mit Aliya Pabani, Trinity Square Video, Toronto (CA), 2018; und There Were Two Brothers, Jerwood Arts London, 2019. Zu den jüngsten Gruppenprojekten gehören: [POST] Colonial Bodies 2, CC Matienzo, Buenos Aires, 2019; there’s something in the conversation that is more interesting than the finality of (a title), The Showroom, London, 2018; World Cup!, articule, Montreal, 2018; Arguments, Cordova, Wien, 2017; und Multiplex, Nuit Blanche, Toronto, 2016. 2020 wurde Igwe mit dem Arts Foundation Futures Award im Bereich experimenteller Kurzfilm ausgezeichnet und erhielt 2019 den Berwick New Cinema Award.
Onyeka Igwes demnächst erscheinender Film ist eine Auftragsarbeit der KW Institute of Contemporary Art, Berlin; Plug-In ICA, Winnipeg; und Mercer Union, Toronto; mit Unterstützung von Julia Stoschek Collection und Outset Germany_Switzerland. Zusätzliche Unterstützung von Tyneside Cinema Projections, Newcastle-Upon-Tyne.
In Zusammenarbeit mit der Julia Stoschek Collection und OUTSET Germany_Switzerland widmen sich die KW Production Series anhand zweier Neuproduktionen pro Jahr dem künstlerischen Bewegtbild. Das Projekt ist inspiriert von den Gründungsprinzipien der KW als einem Ort für Produktion, Reflexion und kritischen Austausch. Die KW Production Series setzen sich zum Ziel, ausgewählte Künstler*innen zu unterstützen, deren Arbeit und Karriere sich vor einem wegweisenden Durchbruch befinden und die nicht nur von der finanziellen Unterstützung und dem institutionellen Renommee profitieren, sondern dieses Format auch nutzen, um den Tiefe- und Schärfegrad ihrer künstlerischen Arbeit maßgeblich und nachhaltig zu modifizieren.