Kuratorisches Interview
Matt Copson
Coming of Age. Age of Coming. Of Coming Age.
15. Februar – 4. Mai 25

 

Kuratorin: Emma Enderby
Assistenzkurator*in: Lara Scherrieble

 

Matt Copson und Emma Enderby im kuratorischen Gespräch

 

EE: Mythen, Fabeln und Fiktion spielen in deiner Arbeit eine wesentliche Rolle. Häufig sind die Hauptfiguren deiner Installationen Archetypen, etwa Reynard the Fox (ein anthropomorphisierter Fuchs), eine fiktionale Version von Kurt Cobain namens Blake, ein Baby oder der Rattenfängers von Hameln. Was fasziniert dich an diesen Geschichten und Figuren?

 

MC: Seit ich als Kind im Disneyland war, frage ich mich, wie ich es damals eigentlich wahrnahm, Micky Maus und Donald Duck zu treffen. Verstand ich, dass Menschen in diesen Kostümen steckten? Ich glaube nicht. Dieses Ununterscheidbare interessiert mich. Die Verbindung von starken formellen Innovationen im Dienste althergebrachter Geschichten findet sich in den frühen Filmen von Walt Disney und bei der Erfindung von Disneyland. Bei meinen Inszenierungen denke ich an manche dieser frühen, düsteren Kulissen in Disneyland, wo einem die Dioramen Geschichten erzählen, während man sich durch sie hindurchbewegt. Sie setzen sich sehr tiefgründig mit dem Konzept des Unheimlichen auseinander.

 

Außerdem bin ich in einer Gegend mit vielen Wäldern aufgewachsen und habe viel Zeit mit dem Bauen von Hütten verbracht, was ich heute wie einen frühen Ort der Kreativität sehe. Mit dem Bauen der Hütten schuf ich einen Raum zum Spielen für meinen Bruder und mich. Ich denke oft darüber nach, wie sich das zu meinem Interesse an installativer Kunst verhält. Es ist, als würde ich in einem Ausstellungsraum eine Hütte bauen, welche die Leute dann betreten können.

 

EE: Es gibt ein berühmtes Zitat von Friedrich Schiller: „Tiefere Bedeutung liegt in dem Märchen meiner Kinderjahre als in der Wahrheit, die das Leben lehrt.“ Das erinnert mich an  dein Erleben von Disneyland oder des Hüttenbauens, wie Du es gerade geschildert hast.

 

MC: Ich denke gerne über die Grundlage der menschlichen Existenz nach: gleichzeitig in der Vergangenheit, in der Gegenwart und in der Zukunft zu sein. Unsere Vergangenheit wird von uns selbst als Autor*innen schnell zur Erzählung und damit zur Fiktion gemacht, geprägt durch Medien oder uns vertraute Erzählweisen. Auch die Zukunft betrachten wir so – aber mit der Gegenwart ist es komplizierter, weil sie sinnlich und instinktiv ist. In meiner Arbeit versuche ich, die Verbindung zwischen der unmittelbarenn, körperlichen Existenz mit den Fiktionen um uns herum zu erkunden.

 

EE: Wie kamst du auf das Baby als Protagonist?

 

MC: Ich war in Italien, umringt von Darstellungen von Babys –ein zentrales Motiv in der klassichen Kunst. Anthropologisch betrachtet konnte ich sehen, warum dieses Motiv so dominant war; es ist eine direkte und zugängliche Art, Menschsein darzustellen. Dabei fiel mir auf, dass heute wirklich niemand Babys darstellt. In der heutigen Kunstwelt kommen kommen sie so gut wie gar nicht vor, und das erschien mir wie ein Teil eines breiteren  Millenial-Nihilismus – oder vielleicht sogar eher -Narzissmus. Ein Baby verkörpert reines Potenzial und ist in vielerlei Hinsicht ein Symbol der Zukunft. Das hat das Baby für mich zu einem starken Archetyp gemacht, mit dem sich arbeiten lässt.

 

Als ich mit den Baby-Animationen anfing, interessierte ich mich bereits die Idee, mit der Oper als Form zu arbeiten. Ich hatte erfahren, dass der Komponist Georges Bizet in den Räumen meiner Pariser Galerie High Art gewohnt hatte, als er Carmen schrieb. Die Geschichte dieses Orts interessierte mich so sehr, dass ich dachte, dort sollte eine Oper aufgeführt werden.

 

<p>Matt Copson, <em>Age of Coming</em>, 2020. Courtesy der Künstler und Lodovico Corsini, Brüssel, Foto: Benjamin Baltus.</p>

Matt Copson, Age of Coming, 2020. Courtesy der Künstler und Lodovico Corsini, Brüssel, Foto: Benjamin Baltus.

 

EE: Musik ist ein wesentlicher Teil deiner künstlerischen Praxis. Die Trilogie Coming of Age etwa hat ein Libretto und eine Partitur der Musikerin Caroline Polachek. Du hast ja auch wirklich eine Oper geschrieben, Last Days, eine Adaption des Films von Gus Van Sant aus dem Jahr 2005. Wie bist du an dieses Projekt herangegangen?

 

MC: Ungefähr zu der Zeit, als ich an der Trilogie gearbeitet habe, sprach ich mit meinen Freunden Danny L. Harle, einem Produzenten und Musiker, und Oliver Leith, einem Komponisten, über eine mögliche Zusammenarbeit. Wir versuchten herauszufinden, was uns jeweils an den Arbeiten der anderen interessiert und wo sie sich berühren. Uns wurde klar, dass es mit Magie und dem Profanen zu tun hatte, und mit der Verbindung dieser beiden Themen.

 

Oliver und ich hatten zwei Bezugspunkte: Den Moment in Die Schöne und das Biest, wenn Belle ins Schloss kommt und dort die Gegenstände zum Leben erwachen, und Last Days, der Film von Gus Van Sant, der in vager Anlehnung an wahre Begebenheiten die letzten Tage von Kurt Cobain thematisiert. Uns gefiel das Geheimnisvolle an diesem archetypischen Symbol unserer Zeit, Kurt Cobain. Der Film ist 20 Jahre alt, aber noch heute tragen Teenager überall Nirvana-T-Shirts. Cobains Symbolkraft ist nicht verblasst, sie ist sogar gewachsen. Also wollten wir damit arbeiten. Im Kern geht es bei Opern darum, unterschiedliche Kunstformen zu vereinen; in vielerlei Weise erschien mir das also vergleichbar mit meinem künstlerischen Ansatz.

 

EE: Lass uns über deine Arbeit in den KW sprechen und das Vorhaben, in den Ausstellungsräumen ein opernhaftes Live-Erlebnis zu inszenieren. Das Hauptwerk ist hier die ca. dreißigminütige Trilogie Coming of Age, mit einem Baby als Hauptfigur. Die Inszenierung verwischt die Grenze zwischen einem theatralen Raum und einem der bildenden Kunst. Und sie beinhaltet keinen einziges physisches Objekt!

 

MC: Ich bin davon überzeugt, dass eigentlich jedes Zeigen von Kunst Theater ist. Kunstwerke sind eindeutig Figuren, und wir sind das Publikum. Wir bewegen uns durch einen Raum und werden manipuliert, während wir uns durch ihn bewegen. Jetzt werden diese Arbeiten zum ersten Mal alle zusammen gezeigt, an einem Ort, der eigens für sie entworfen wurde: der Ausstellungsraum als Theater. In der Haupthalle der KW ist die Coming-of-Age-Trilogie wie ein Diorama. Ich habe die Arbeit so adaptiert, dass die unterschiedlichen Gegenstände, die das Baby nutzt – die Schaukel, der Stift und so weiter – hinterlassen werden und darauf warten, wieder benutzt zu werden, während sich die anderen Teile der Saga abspielen. Es entsteht also eine Szenografie, ein Bühnenbild mit Requisiten.

 

EE: Wie bist du dazu gekommen, mit Lasern zu arbeiten?

 

MC: Viele meiner vorherigen Arbeiten sind hybride Werke, in denen verschiedene Techniken jeweils unterschiedlich eingesetzt werden. Manche waren Wandgemälde mit Projektionsmapping, andere eher konventionelle rechteckige Videoarbeiten. Ich war jedoch oft enttäuscht von der Leblosigkeit dieser Medien – im Raum mangelte es ihnen an materieller Greifbarkeit.

Dann fand ich zufällig Aufnahmen von Pink Floyds Konzert Dark Side of the Moon und von ihren Lasershows aus den 1970ern. Das waren theatrale, immersive Erlebnisse, in die man eintauchen konnte, wo die Laser sich durch geodätische Kuppeln bewegten und eine Welt ohne Rahmen schufen – etwas, das von überall her auftauchen konnte. Das ging über Erfahrungen mit herkömmlichem Theater hinaus, die Welt selbst wurde zur Bühne. Es fing also alles an mit diesem Impuls, etwas Greifbareres, Lebendigeres schaffen zu wollen.

 

EE: Du hast auch ein neues Werk für diese Ausstellung gefertigt, eine Art Einführung.

 

MC: Ich wollte ein Erlebnis wie in Disneyland schaffen, wo man willkommen geheißen wird, wenn man reingeht. Das Baby begrüßt einen mit unterschiedlichen Formulierungen, mit denen sich „Vielen Dank fürs Kommen“ sagen lässt. Es drückt seine Dankbarkeit aus. An der Wand daneben steht ein Teleprompter, von dem das Baby einfach abliest. Man gerät zwischen das Empfinden dessen, was man hört, und die Wirklichkeit, dass das Baby von einem Teleprompter abliest. Mal ehrlich, es ist anstregend, überhaupt etwas zu tun. Und es kostet eben auch Kraft, in die KW zu kommen, um sich eine Ausstellung anzusehen. Ich sage also: Danke für eure Zeit. Denn sie ist wirklich kostbar.

 

<p>Matt Copson, Porträt, Foto: Ronan Park.</p>
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Matt Copson, Porträt, Foto: Ronan Park.

 

 

Biografie

Matt Copson (* 1992, UK) lebt und arbeitet in London. Zu seinen jüngeren Ausstellungen gehören Restaurant Satyr, High Art, Arles; Age of Coming, Lodovico Corsini, Brüssel; Coming of Age, High Art, Paris; Down Boy, Reena Spaulings, New York; On Site, Swiss Institute, New York; Transcend and Die, Mönchehaus Museum, Goslar; und Blorange, Fondation Louis Vuitton, Paris. Seine Oper Last Days (Libretto und Regie: Matt Copson, Komposition: Oliver Leith) wurde 2022 am Royal Opera House in London uraufgeführt, die Premiere in den USA fand 2024 in der Walt Disney Concert Hall mit dem Los Angeles Philharmonic Orchestra statt.

 

Impressum

Kuratorin: Emma Enderby
Assistenzkurator*in: Lara Scherrieble
Produktionsleitung: Claire Spilker
Technische Leitung: Wilken Schade
Leitung Aufbauteam, Medientechnik: Markus Krieger
Aufbau: KW Aufbauteam
Live Programmer: Nikolas Brummer
Registrarin: Bryn Veditz
Leitung Presse und Kommunikation: Marie Kube
Leitung Presse und Marketing: Anna Falck-Ytter
Online Kommunikation und Online Marketing: Haja Camara
Studentische Assistenz Kommunikation: Isabella de Arruda Ilg
Leitung Vermittlung: Alexia Manzano
Text und Redaktion: Emma Enderby, Lara Scherrieble
Übersetzung und Lektorat: Georg und Katrin Hilla von Gaertringen, Sabine Wolf, Simon Wolff
Wissenschaftliches Volontariat: Aykon Süslü
Praktikant*innen: Joséphine Richard, Guilherme Vilhena Martins, Yicheng Xie

 

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