Pogo Bar:
Vika Kirchenbauer
COMPASSION AND INCONVENIENCE

 
  1. 21. März 24, 20.30 Uhr, Screenings ab 19 Uhr

Ort: 4. OG
In englischer Sprache
Anmeldung via pogobar@kw-berlin.de

 

Programm:

 

20.30 Uhr Screening COMPASSION AND INCONVENIENCE  

(30 Minuten, Englische Originalversion, ohne Untertitel)

anschließend Artist Talk mit der Künstlerin Vika Kirchenbauer

und Viktor Neumann

 

Vor der Veranstaltung werden zwei zusätzliche Screenings mit unterschiedlichen Untertiteln angeboten. Wenn Sie an einem dieser Screenings teilnehmen, bekommen Sie einen Stempel und können zum Artist Talk um 21 Uhr wieder kommen.  

 

19 Uhr Screening COMPASSION AND INCONVENIENCE

(30 Minuten, Englische Originalversion, mit englischer SDH-Untertitelung)

 

19.45 Uhr Screening COMPASSION AND INCONVENIENCE

(30 Minuten, Englische Originalversion, mit deutschen Untertiteln)

 

<p><span data-offset-key="9ctnb-0-0"><em>COMPASSION AND INCONVENIENCE</em>, Vika Kirchenbauer, Videostill, 2024. © die Künstlerin </span></p>
<p><span data-offset-key="9ctnb-0-0">und VG Bild Kunst.</span></p>

COMPASSION AND INCONVENIENCE, Vika Kirchenbauer, Videostill, 2024. © die Künstlerin

und VG Bild Kunst.

 

Alles, was heute selbstverständlich und normal erscheint, ist irgendwann einmal entstanden. COMPASSION AND INCONVENIENCE erforscht das künstlerische Feld, indem es selbiges historisiert und einen anderen Entstehungskontext vorschlägt als den, der üblicherweise angenommen wird. Konkret befasst sich das Essay-Performance-Video mit den ersten öffentlichen Ausstellungen zeitgenössischer Kunst in London Mitte des 18. Jahrhunderts sowie mit den Ereignissen und Umständen, die dazu führten. Historische Texte werden von einem Cast gesprochen, deren Sprechpositionen sich von denen der Autoren der Textquellen unterscheiden. Die Arbeit nutzt Performance zur Wiederholung mit einem Unterschied und thematisiert so ein komplexes Erbe, das durch die institutionalisierten Strukturen von Kunst an aktuelle Akteur*innen weitergeben wird.

 

Auf der Grundlage akribischer Archivrecherchen werden bestehende Vorstellungen von Kunst auf ihre ideologischen und materiellen Verflechtungen mit Ideen des Liberalismus und der schottischen Aufklärung sowie mit dem britischen Kolonialismus zurückgeführt. Eine oft übersehene Fürsorgeanstalt für „verlassene Kleinkinder“ wird zum Ausgangspunkt für die Gründung europäischer Kunstinstitutionen, in denen sich privatwirtschaftliche und koloniale Interessen mit Vorstellungen von Wohltätigkeit und dem Streben nach Kultiviertheit überschneiden. Begleitende Konflikte und Diskurse zeigen, wie eine Rhetorik der Demokratisierung und gleichzeitige Bestrebungen nach Klassenabgrenzung das Kunstfeld von Anfang an prägten. Die Arbeit rekonstruiert etwa, wie die damaligen Künstler*innen das Eintrittsgeld für Ausstellungen erfanden, um diejenigen auszuschließen, denen in ihren Augen die Fähigkeit fehlte, Kunst zu beurteilen. Damit werden implizit nicht nur Fragen nach den Kontinuitäten institutionalisierter Ausschlüsse und Formen von Gewalt aufgeworfen, sondern auch verhandelt, inwiefern das Selbstverständnis von Künstler*innen darin verstrickt ist.

 

Im Mittelpunkt der 30-minütigen Videoarbeit stehen fünf Performer*innen in farblich abgesetzten Kostümen. Sie rezitieren Texte aus der britischen Philosophie und Theologie des 18. Jahrhunderts, die diese ersten öffentlichen Kunstausstellungen umgaben, sowie aus den Protokollen, in denen die konkreten Entscheidungsprozesse festgehalten sind. Die als universell proklamierte Konzepte werden auf ihren lokalen sozio-politischen Kontext zurückgeführt, wodurch Begriffe wie Geschmack und Wohltätigkeit als Voraussetzungen für die Behauptung ethnischer Überlegenheit sowie für Klassenunterdrückung deutlich werden. Die Performer*innen – weder weiße Männer noch aus privilegierten Schichten stammend – verkörpern nicht historische Figuren wie Adam Smith oder David Hume, sondern setzen sich mit ihren Texten und den darin vermittelten Perspektiven auseinander und oszillieren dabei zwischen Subversion und Implikation. Diese performativen Versuche verhandeln die doppelten Botschaften innerhalb der gegenwärtigen Strukturen der Kunst, deren institutionalisierter Kern von Herrschaftsgefügen und Überlegenheitsfantasien geprägt ist.

 

In Vika Kirchenbauers bisher umfangreichstem Projekt steht die in den Quellen des 18. Jahrhunderts immer wiederkehrende Betonung des Mitleids als ein Gefühl im Vordergrund, das diejenigen, die es empfinden können, moralisch adelt. Das Elend der anderen wurde nicht mehr unbedingt als ein Umstand betrachtet, den es zu beheben galt, sondern als eine Gelegenheit, höhere moralische Gefühle zu empfinden – eine Konstellation, in der Kunst eine wichtige Rolle spielte. Doch wie sich herausstellt, wird es dem mitfühlenden Subjekt schnell unangenehm, wenn diejenigen, die solch erhabenen Gefühle erwecken, den ihnen zugedachten Platz verlassen. Sobald nämlich das rhetorisch angesprochene „Publikum“ tatsächlich auftaucht und seine Meinung kundtut, beschwert sich – wie die Arbeit zeigt – eine aufstrebende künstlerische Elite über die Unannehmlichkeit. Entgegen der weit verbreiteten Annahme, dass bildende Kunst schlichtweg nicht für alle Gesellschaftsschichten von Interesse sei, zeigt sich, dass anfangs tatsächlich ein starkes, schichtenübergreifendes Interesse bestand. Dann aber wurden konkrete Maßnahmen ergriffen, um den Zugang zu beschränken und die Armen von der Kunst fernzuhalten, während sich gleichzeitig das Wissen über Kunst als soziale Währung etablierte.

 

Performer*innen: Laurie Young, Mmakgosi Kgabi, Olympia Bukkakis, Leah Marojević, Lauren John Joseph

 

Bild: Rita Macedo
Ton: Azadeh Zandieh
Kostüm: Jay Barry Matthews
Kostümassistenz: Alexis Mersmann
Make-up & Styling: Sarah Hartgens
Beratung Recherche und Skript: Judith Sieber

 

Vika Kirchenbauer ist eine in Berlin lebende Künstlerin, Autorin und Musikproduzentin. Mit besonderem Fokus auf affektive Subjektbildung untersucht sie die sichtbaren 
und unsichtbaren Erscheinungsformen von Gewalt, und reflektiert dabei die Umstände, unter denen Subjekte in gesellschaftliche Machtstrukturen verwickelt und innerhalb dieser situiert sind. In umfassenden Einzelausstellungen wurde Kirchenbauers Arbeit zuletzt im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf; sowie im Kunstverein Kevin Space, Wien; präsentiert. Ihre Videos und Installationen wurden in Gruppenausstellungen und Screenings u. a. im Tainan Art Museum, Taiwan, in der Whitechapel Gallery, London, in der Kunsthal Charlottenborg, Kopenhagen, bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin, beim New York Film Festival und beim Toronto International Film Festival gezeigt. Bei Mousse Publishing ist ihre erste Monographie erschienen, die Essays und Arbeiten aus den letzten zehn Jahren ihrer Praxis vereint. Seit 2022 ist sie Professorin für Freie Kunst/Grundlehre mit Schwerpunkt Film/Video an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig.

 

Viktor Neumann ist Kurator und Kunsthistoriker aus Berlin. Er ist Kurator von Between Bridges und Co-Kurator des Berliner Teils der 5. Kyiv Biennial. Er kuratierte Ausstellungen und Projekte für internationale Institutionen wie dem Whitney Museum of American Art, New York, Museum of Modern Art, Warschau, Bildmuseet Umeå, Total Museum, Seoul, Kunsthalle Bega, Timisoara, Ludwig Forum für International Kunst, Aachen, Württembergischer Kunstverein, Stuttgart, Kölnischer Kunstverein und Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf. Er war Co-Kurator Rumänischen Pavillons der 59. Biennale für Gegenwartskunst 2022 in Venedig, Co-Kurator des transnationalen Projekts Parlament der Körper, Co-Kurator der Bergen Assembly 2019 und Kuratorischer Assistent der documenta 14. Er unterrichtet an verschiedenen Hochschulen und war 2020-2021 für drei Semester Gastprofessor für Kuratorische Studien und Dramaturgische Praxis an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe. Er ist Mitherausgeber einer Reihe von Publikationen, zuletzt Ewa Majewska: Coronafuga (Distanz Verlag, 2023), Vika Kirchenbauer: Works, Scripts, Essays 2012-2022 (Mousse Publishing 2022), and Wicked Little Town (Archive Books, 2021).

 

 

 

 

 

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